Die alte INTERFLUG im www
Historische Betrachtungen zur einstigen DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG

last updated:
24.10.2017


Revision 3.0

Augenzeugenbericht vom Flugunfall


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Autor: Ulrich Femmer

Zum 40. Jahrestag der „Havarie“
Interflug Moskau- Berlin Schönefeld am 22.11.1977

24.10.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Zeitungsausschnitte

Warum habe ich als einziger Westdeutscher in dem ostdeutschen Flug von Moskau nach Berlin Schönefeld gesessen? Weil ich in Moskau als Transitpassagier von Bankok kommend, den einen Monat vorher gebuchten „not endorsable“ Anschlussflug nach Frankfurt verpasst habe.

Mit nur wenig Handgepäck habe ich versucht ohne des Russischen mächtig zu sein, jemanden zu finden, der mir irgendwie weiterhelfen kann. Dies gelang mir über lange Zeit nicht, bis auf der Abflugtafel der Flug nach Berlin Schönefeld angezeigt wurde.

Relativ laut und deutlich habe ich in Englisch erklärt, dass ich jetzt sofort nach Berlin Ost fliegen wollte. Die Maschine stand schon mit verladenem Gepäck und Passagieren mit Türen verschlossen und laufenden Motoren an der Startbahn, als man beschlossen hatte mich loszuwerden. Ich musste noch unterschreiben, dass ich auch wirklich nur bis Berlin wollte. Mit einem PKW wurde ich an die laufende Maschine gefahren, die Gangway wurde wieder angedockt, ich stieg ein und das Flugzeug startete nach Berlin Schönefeld.

Mein Platz war auf der linken Seite auf der Höhe des linken Flügels, den ich aus dem Fenster sehen konnte. Mein Nachbar erzählte mir, dass es sich bei den Passagieren um eine Reisegesellschaft handelt, die für guten Leistungen mit einem Moskaubesuch belohnt worden sein und man sich jetzt auf dem Rückflug befinde.

Der Flug nach Berlin verlief ruhig und soweit ohne Probleme.

Im Landeanflug Berlin Schönefeld etwa in 20 Meter Höhe über den Baumwipfeln der seitlich an der Landebahn stehenden Bäume, kippte das Flugzeug über den linken Flügel ab. Ich meine mich erinnern zu können, dass die Triebwerke kurzzeitig aufgeheult hätten, als ob der Umkehrschub eingeschaltet worden wäre, ungewöhnlich so hoch über der Landebahn.

Die linke Flügelspitze zeigte somit senkrecht nach unten, berührte die Erde und wurde vom Rumpf abgerissen. Der Rumpf drehte sich weiter in Längsrichtung rollend auf das Dach. Die Passagierkabine schoss wie eine Zigarre auf dem Kopf liegend weiter in Anflugrichtung über die Landebahn, vollführte eine leichte Kurve und blieb auf der Wiese neben der Landebahn liegen. Wie lange dies gedauert hat weiß ich nicht. Ich habe nur gedacht wann kommt das Flugzeug endlich zu stehen. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor.

Es war toten still. Keine Schreie.

Ich war angeschnallt und hing mit Kopf nach unten in meinem Sitz. Mein Nachbar neben mir war weg. Er war wohl nicht angeschnallt. Ich habe ihn erst später im Flughafengebäude wiedergetroffen. Ich habe mich losgeschnallt und kopfüber abgelassen. Neben meinem Sitz war ein Notausgang. Ich habe die Griffe betätigt, die Tür fiel nach außen auf die Wiese. Der Fluchtweg war ebenerdig, ohne Stufe frei, da die Kabine auf dem Dach lag. Ich bin als erster Passagier vom Flugzeug über die nasse Wiese bis zu einem Zaun gelaufen und habe mich dort hingeworfen. Jedem Moment dachte ich das Flugzeug explodiert. Doch keine Flammen nichts fing an zu brennen, es erfolgte keine Explosion. Die Landebahn und die Wiese waren nass und haben vielleicht auch deswegen Feuer verhindert. Das Höhenleitwerk, der linke Flügel mit Fahrwerk waren weg, eine Turbine lag im Gras, lief im Leerlauf aus und drehte sich nicht mehr.

Danach wieder Totenstille. Ich hatte überlebt.

Nach einiger Zeit als weiter nichts passierte, bin ich wieder zum Wrack zurückgekehrt und habe anderen Passagieren, die nach und nach aus dem Notausgang gekommen waren aus der Kabine geholfen. Viele Leute standen und lagen auf Wiese herum. Ab diesem Zeitraum habe ich eine totale Gedächtnislücke. Wieviel Zeit dann vergangen ist, wieweit das Wrack vom Flughafengebäude entfernt war, ob und wann die Feuerwehr mit Schaum gelöscht hat, kann ich nicht sagen. Das kann eine oder zwei Stunden gedauert haben. Auf jeden Fall machten sich die Passagiere irgendwann zu Fuß auf den Weg zum Flughafengebäude.

Im Flughafengebäude versammelten sich nach und nach die Passagiere aufgeteilt auf mehrere Zimmer. Dort habe ich auch meinen Sitznachbarn Arno Hammerschmidt aus dem Erzgebirge körperlich unversehrt wiedergetroffen. Ich selbst hatte auch keine Schrammen abbekommen. Allerdings war ich überschüttet worden mit Kerosin und Hydrauliköl. Meine Klamotten hatten sich vollgesogen und stanken nach Öl. Alles egal. Bald kamen Flughafenangestellte und stellten auf jedes Tischchen ein Flasche Weinbrand. Arno war der Meinung, dass dies die Gelegenheit wäre endlich mal was Gutes umsonst zu bekommen. Wir tranken kräftig aufs Überleben und tauschten die Adressen aus. Später haben wir uns geschrieben und Päckchen zu Weihnachten verschickt mit Stollen in den Westen und Kaffee in den Osten.

Die Gespräche wurden lauter und gelöster. Von Zeit zu Zeit erschienen Personen in den Zimmern, die Gespräche wurden schlagartig eingestellt. Auf meine Frage warum dies so sei, gab mir Arno zu verstehen, das dies Stasimitarbeiter seien.

Für mein Weiterkommen in den Westen geschah lange nichts. Warum auch. Ich habe mich dann an eine offiziellen Flughafenangestellten gewendet und gesagt ich wolle jetzt nach Berlin West ausreisen und ich wollte mit der ständigen Vertretung der Bundesrepublik Günther Gaus sprechen. Warum ich als einziger Westdeutscher DDR Maschine gesessen habe und die Forderung nach Westberlin ausreisen zu wollen, war für die Beamten reichlich unverschämt. Da mein Pass in der Maschine geblieben war, wurde ich schließlich erkennungsdienstlich behandelt und mit Foto erfasst. Der Beamte schimpfte auf seine Polaroid Sofortbildkamera, da dies ein amerikanisches Gerät war und dieser nicht richtig funktionierte. Dann sagte man mir, ich sollte mit einem Taxi zur ständigen Botschaft fahren und dort weitersehen.

Die Flugzeughavarie war wohl schon bekannt. Die Botschaft hat mich mit Geld und Papieren versorgt. Ein Beamter der Botschaft hat mich dann nach Feierabend mit in seinem Auto über den Checkpoint Charly gefahren und in einem Hotel am Kudamm in Westberlin abgesetzt.

Spät abends klingelte das Telefon. Ich habe dann einem Reporter der Bildzeitung ein Interview gegeben.

Am nächsten Tag bin ich, ermutigt durch mehrere Drinks, wieder in eine PanAm Maschine eingestiegen und nach Frankfurt geflogen. Monate später habe ich mit der Versicherung der DDR einen Schriftverkehr über Schadensersatz geführt. Es wurde Schadensersatz geleistet, was mir aber auch egal war. Ich hatte überlebt!!

Es handelt sich um persönliche Erinnerungen, die ich jetzt erstmalig nach 40 Jahren aufgeschrieben habe. Heute fliege ich nur noch wenn es anders nicht geht.

Datum: Köln Oktober 2017

Ulrich Femmer

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Im folgenden einige Dokumente die uns Ulrich ebenfalls zur Verfügung gestellt hat
Das Flugticket der Aeroflot für den Flug nach Berlin
Hilfeleistung der Ständigen Vertretung
der Bundesrepublick Deutschland in Berlin
Ersatzpass für den Flug zurück in die BRD Mahnschreiben an die Interflug
Übernahme der versicherungsrechtlichen
Zuständigkeit durch die Interflug
Briefumschlag der DARAG Regelung der Schadensersatzansprüche
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